Wenn eine Frau im kurzen Kleid, im kurzen roten Kleid, direkt hinter der ersten Düne im Sand liegt, bewegungslos, kann dies eine wahrhaftige, schöne Momentaufnahme sein. Wenn dabei die Sonne untergeht wird dieser Augenblick von Minute zu Minute größer. Die Wärme geht. Sie scheint nicht zu frieren. Sanftes Glück gibt ihren Mundwinkeln ein schwebendes Lächeln. Neben ihr liegt ein Stück Papier, mit dem der Wind spielt, es von ihr weg und wieder zurück trägt. Meine Schritte im Sand hört sie nicht, auch nicht das Rascheln des Papiers.

Es ist ein schöner Tag ...., les ich, ... vielleicht der schönste meines Lebens. Vielleicht aber auch nur einer wie viele andere, die sich gestern und davor ereignet haben. Joe und ich in Paris zum Beispiel. Sicherlich hatten wir dort viele Tage, die sich vom heutigen in keinster Weise verstecken müssten, aber wir waren es einfach nicht anders gewohnt.

Nichts ist vergänglicher als das Glück. Es geht wie es kommt, immer auf dem Sprung. Hab nie versucht daran festzuhalten. Hätte ich vielleicht tun sollen. Hätte ich vielleicht. Früher hab ich dieses Wort gehasst. Es gab kein vielleicht. Alles so klar, logisch und wunderbar ineinander verschlungen. Wenn eins zum anderen kommt, sich wie von selbst fügt und immer weiter geht, dann braucht es keine Zweifel.

Joe und ich sind uns in die Hände gefallen, an einem nebligen Wintertag im Stubaital. Er hat mich einfach über den Haufen gefahren, mit seinem Freestyle-Board. Dass er doch Anstand hat, zeigte er, indem er sofort abschnallte und meinen Skiern hinterher den Hang runter lief. Sein Grinsen - obwohl es gar nichts zu Grinsen gab - wie er auf meine Bretter gestützt wieder den Berg raufgekraxelt kam, hab ich nie vergessen. Bis heute nicht. Als Wiedergutmachung für meine blauen Flecken gab es Glühwein und Kaiserschmarrn.

Seine strubbeligen Haare waren nicht zu bändigen. Eine Dusche hätte er auch gebraucht. Aber gut riechen konnte ich ihn schon damals. Eine einzige Berührung, schon beim ersten Mal, war wie Heimaturlaub. Kein Wort blieb unverstanden, kein Blick unregistriert, kein Gefühl ungefühlt. WIR HABEN DIE WELT ZUSAMMEN GESEHEN. JOE. WIE SOLL ES OHNE DICH WEITERGEHN.

Als der Anruf kam, hab ich mich gefreut endlich mal wieder ihre Stimme zu hören. Erst ist mir gar nicht aufgefallen, dass mich seine Mutter vorher eigentlich nie angerufen hatte. Ich hab sie stürmisch begrüßt. Sie hat gleich losgeschluchzt und hätte gar nicht reden brauchen. Wir haben beide fast eine halbe Stunde nichts sagen können. Ich hatte nie vor etwas Angst, außer vor Joes Bergtouren mit seinen Freunden.

Wenn Omas oder Opas sterben, ist es ein ehrwürdiges Abschiednehmen, weil die Zeit gekommen ist. Meistens zumindest ist es so. Joes Zeit war noch nicht gekommen. Auf der Beerdigung war ich vollgepumpt mit Tramal. Auch die Tage danach. Auch jetzt noch bin ich benommen. Dem seelischen Hungertod nah. Habe an nichts mehr Freude. Sehe in nichts mehr einen Sinn. Es zerreißt mich, dass ich nicht bei ihm bin.

Lege das Papier wieder neben sie und lass? sie liegen. Auf meinem Rückweg vom Strand zum Parkplatz ist sie immer noch da. Hol aus dem Auto die Erste-Hilfe-Decke. Decke sie zu.

Was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht. Weder gab es eine Nachricht von einer Toten am Strand, noch einen Lieber-unbekannter-Lebensretter-bitte melde-Dich-Aufruf in Funk oder Fernsehen. Seitdem hat sich mein Leben verändert. Die Hoffnung auf die große wahre Liebe ist gewachsen, gleichermaßen die Furcht davor sie zu verlieren.

Diese und andere Geschichten interessanter Jungautoren sind im Rahmen von Leowee's 1. Leowebber Vernissage entstanden.

Wie eine Koksbaronesse, schreit Cater, er beugt sich zu ihr rüber und steckt ihr die Zunge zwischen die Lippen. Stella trägt ein Piratenkopftuch aus Seide und eine Federboa über ihrer grellblauen PVC-Jacke, dazu einen Blümchenrock und kniehohe Stiefel. Nicht eher wie eine Polackenbraut? schreit sie zurück. Sie fletscht die Zähne und zupft die Polyesterblüten auf ihrem Rock zurecht. Aus der Box auf dem Rücksitz wummert ihnen Prodigy durch die Eingeweide, Stella haut mit den Handflächen auf die Armaturen und kreischt begeistert mit den Reifen um die Wette. Cater lacht.

Breitbeinig und mit einer Hand am Lenker jagt er den Opel durch die Hafenschluchten. Vor dem Glashäuschen gellen die Bremsen von den nächtlichen Fassaden zurück, ein uniformierter Arm versperrt ihnen mit einer Kelle die Durchfahrt. Haben Sie was zu verzollen?

Cater dreht die Musik ab, sie müssen aussteigen. Vier Beamte öffnen Heckklappe und Motorhaube, suchen die Innereien des alten Dieselkombi mit der Taschenlampe ab, zerren Schminktäschchen, Tangaslip und Tampons aus Stellas Rucksack. Stella steht mit gerecktem Kinn und verschränkten Armen daneben und beobachtet den Eingriff.

Was glauben die denn. Prodigy ist doch nur ihr Vibrator, seit wann sind Vibratoren verboten, da müssen diese Trüffelschweine sich nicht gleich angepisst fühlen!

Spöttisch grinst sie in die Runde, als sie ihren Beutel zurückstellen, die Mienen der Zollbeamten verraten Irritation. Eben machen sie sich an Caters Rucksack zu schaffen, Stella sucht unauffällig seinen Blick. Cater gibt sich unbeeindruckt. Sie weiß, dass er nervös ist, allein wegen des schwülen Geruchs, aber es sind ja fast nur Krümel.

Stella wendet sich ab und wischt sich mit den Händen den Mörtelstaub von den Stiefeln, ein Beamter beobachtet sie argwöhnisch. Das kleine Piece werden sie schon nicht finden und wenn schon. Stella geht auf ihren harten Absätzen vor dem Wagen auf und ab, sie fröstelt in der feuchten Nachtluft. Die Beamten halten ihr unablässiges Grinsen für Triumph, in ihre dienstbeflissenen Gesichter steht ihnen das Unbehagen geschrieben.

Der Starkstromstrahler hat das Backsteinskelett des einstigen Speichers in ein grelles Licht geworfen und ihnen ins Gesicht geschnitten. Längst wurde der Duft exotischer Gewürze vom Muff des feuchten Zements überlagert. Die Kleider staubig und die Wangen gerötet, sind sie die Rohbetontreppen hinabgestolpert, ihre aufgesprungenen Hände an der kahlen Wand entlang tastend. Im Parterre sind ihre Augen ineinander versunken, sie hat ihm die Mörtelbrocken aus den platinblondierten Fransen gezupft. Du bist geil, hat sie zu ihm gesagt und ihm ihren Slip in die Hosentasche geschoben. Absolut, hat er geantwortet. Heiser. Im Fleet hat die Nacht geglitzert.

Sie finden es nicht. In den Sitz gedrückt, als Cater Gas gibt, lacht Stella laut los. Den Zöllnern zum Gruß streckt sie die rechte Hand aus dem heruntergekurbelten Fenster, mit der anderen angelt sie nach dem Radioknopf. Prodigy kracht zuckend aus dem roten Blech, das aus dem Freihafen hinaus unter den Brücken der Hochbahn hindurchprescht, lauter als vorher. Waren die komisch in ihrem Eifer! brüllt sie.

Lass uns mal einen durchziehen, sagt Cater und stoppt den Wagen am Rande des portugiesischen Viertels. Er bückt sich nach seinem Rucksack zu ihren Füßen. Stella macht eine schelle Handbewegung unter ihre Jacke, na Süßer, gurrt sie und drückt ihm eine eiserne Pistole unters Kinn mit dem Torero-Bart.

Cater, den Oberkörper über ihre Beine gebeugt, erstarrt. Stella schnalzt mit der Zunge, zögernd wendet er ihr sein Gesicht zu, blickt in ihr süffisantes Grinsen. Da sind Liebesperlen drin, sagt sie. Wo hast du die her? Von deinem Sohn. Jäh richtet Cater sich auf. Er windet ihr die Spielzeugpistole aus der Hand und schlägt ihr ins Gesicht.

Mit zittrigen Fingern bricht er die Abdeckung vom Ende des Griffstücks und drischt es in mehreren Hieben gegen Stellas Schenkel. Fassungslos starrt Stella auf die mit weißem Puder gefüllten Plastiktütchen in ihrem Schoß. Blut schießt in ihre Wangen. Aus der Box im Fond hämmert dumpf der Bass.

........................................................ "Hafenidyll" ist eine Shortstory von Leowee. Die Berlinerin schreibt, knipst, gesteht, provoziert unter www.leowee.de