War eigentlich nur zufällig vorbeigekommen. Sie hatte kurz die Tür aufgemacht und mich reinschauen lassen. Wir haben uns auf der Schwelle unterhalten und berührt. Bei dieser Gelegenheit öffnete ich mich auch einen Spalt breit. Anschließend beschlossen wir, dass ein Wiedersehen höchsterfreulich wäre. Zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit tauschten wir einen kleinen Teil unserer jeweils eigenen kleinen Welt: die Telefonnummern. Seit dem –entdecken wir uns.

Weltenentdeckungen passieren jeden Tag. Ebenso Eroberungen. Wobei mir Eroberungen bei genauerer Überlegung nicht mehr allzu sympathisch sind. Haben sie nicht immer auch etwas mit Siegen zu tun? Und jeder Sieger hat mindestens einen Verlierer unter sich. Da sind mir die Entdecker lieber. Obwohl mir nicht entgangen ist, dass es auch unter ihnen solche und solche gibt. Solche zum Beispiel, die bisher unbekannte kleine Welten entdecken, vor lauter Entdeckungseuphorie den Entdeckeranstand verlieren und den nachfolgenden nur Scherben hinterlassen. Zwar gibt es auch hierfür wieder eine Entdeckerspezies, welche beim Anblick von Scherbenhaufen aus vergangenen Zeiten in das Ausstoßen von wilden Jubelschreien verfällt und sich umgehend an das originalgetreue Zusammensetzen aller Einzelteile setzt. Aber darum geht es jetzt gerade nicht.

Kürzlich telefonierte ich mit meinem Freund Tom, um ihm meine Gedanken über kleine Welten mitzuteilen: „Sind wir nicht allesamt kleine Welten die füreinander wiederum wie Sterne sind? Hell strahlende und unsichtbar weit entfernte, deren Entdeckung noch bevorsteht? Hat nicht jeder von uns sein kleines Universum, über dessen Endlich- und Unendlichkeit es sich herrlich bei einer Flasche schweren Rotwein philosophieren lässt? Wünschenswert ist es natürlich, eine warm scheinende und lebensspendende Sonne in der Nähe zu haben....“, philosophierte ich naiv. Tom erwiderte, dass die kleinen Welten während Herbst und Winter noch kleiner werden würden, weil sich doch ein jeder im Rückzug befindet und somit seinen Weltenradius verringert. Auch das ein schönes Bild.

In der Weiterverfolgung meiner Theorie stieß ich jedoch alsbald auf scheinbar unüberwindbare Hindernisse. Meine Sonne zu definieren fiel mir nicht schwer, aber wer war mein Mond? Und eigentlich schwebte mir vor, auch Sonne für meine Sonne zu sein, was Universumstechnisch zumindest nach jetzigem Stand der Wissenschaft unmöglich wäre. An dieser Stelle stellte sich mir die Frage, ob es überhaupt erstrebenswert ist, ein philosophisches Lebensweltenkonstrukt mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu belegen bzw. – wie in diesem Falle – zu wiederlegen? Ich sah meine morgenfrische Theorie mehr und mehr vom Zusammensturz bedroht, wie ein Haus aus speckig flutschigen Skatkarten und beschloss die Entwicklung einer wissenschaftlich fundierten „Kleine Welten“-Definition fürs erste anderen zu überlassen.

Mir bleibt zu erwähnen, dass mich mein bisheriges Leben vom Eroberer und Eroberten, vom Sieger und Verlierer zum Entdecker werden ließ. Und derzeit wiederentdecke ich dabei die Langsamkeit, die im Gegensatz zum Hochgeschwindigkeitsentdecken Zeit für kleine Details, für kleine Welten innerhalb kleiner Welten gibt, die zu entdecken ebenfalls ........

... aber bevor ich mich jetzt hoffnungslos weiterverzettele habe ich noch einen Wunsch, der sich sowohl um die kleinen, als auch um die großen Welten dreht: Lasst uns alle Entdecker bleiben und dabei nicht vergessen, dass entdecken nichts mit Besitz, mit Eroberung und Siegen zu tun hat, mit territorialen Erweiterungen, mit der Verbreitung des einzig wahren Glaubens, sondern mit offenen Augen, mit Respekt, mit Neugier und eigener Stärke, die sich nicht aus der Schwäche anderer heraus definiert.

Amen.